Hi!
Die letzten Tage war ich unterwegs und habe an einer Wanderung teilgenommen, die von Ecoselva bzw. eigentlich eher von ein paar meiner Mitfreiwilligen und anderen Organisationen geplant wurde.
Um das ein bisschen näher zu erklären, zitiere ich an der Stelle mal einen Teil einer E-Mail von Ecoselva zu der Sache: „Ecoselva organisiert die 3. Internationale Wanderung von den Anden in den Regenwald auf den Spuren der Armutsauswanderer aus dem Westerwald, Mosel und Tirol, die am 25.7.1859 dort Dorf Pozuzo im peruanischen Regenwald gründeten. Den Auswanderern wurde Land versprochen und die Verpflichtung der peruanischen Regierung, eine Straße in das abgelegene Dorf zu bauen. Der Straße wurde zwar erstellt, aber erst nach 120 Jahren. Dadurch bedingt war die Siedlung von Deutschen und Österreichern viele Jahre nur äußerst schwer zugänglich und nur über einen fünftägigen Fußmarsch erreichbar. Dabei musste auch ein Pass mit einer Höhe von 3.790 m überwunden werden.“
Eben diese Strecke sind wir innerhalb von drei Tagen gewandert. Zumindest in Teilen – ein bisschen schummeln gehörte auch dazu.
Und zwar ging es für mich am Mittwochnachmittag erstmal nach Pozuzo, wo ich übernachtet habe und dann am Donnerstag um 2:30 Uhr (!!!) abgeholt wurde. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer ist dann nämlich gemeinsam von dort aus Richtung Huanuco gefahren, die andere Hälfte ist auf anderem Weg schon am Vortag dorthin gereist.
Der Teil der Gruppe, der von Pozuzo aus losgefahren ist kam mit dem Auto immerhin bis Cañachacra, wo dann aber die mit dem Auto befahrbare Straße aufhört. Deshalb mussten wir eine etwa einstündige Wanderetappe einlegen. Am anderen Ende wartete dann aber wieder ein Auto – ja, genau, eins für etwa 20 Leute, der Großteil fuhr auf der Ladefläche mit – auf uns und es ging nochmal einige Stunden weiter, bevor wir schließlich in Chaglla (Nähe Huanuco) ankamen, wo dann auch für uns das offizielle Programm losging.
Dass es ein Programm diesen Ausmaßes geben würde, war mir bis dahin nicht wirklich klar gewesen. Dazu muss man wissen, dass die Idee ursprünglich war, ganz entspannt mit deutschen und peruanischen Freiwilligen, im kleinen Kreis, diese Strecke zu wandern. Letztlich wurde aber ein geradezu riesiges Event daraus. Mehrere Organisationen waren beteiligt und wir waren insgesamt an die 50 Teilnehmer*innen.
In Chaglla gab es einen großen Empfang und ein spätes Mittagessen. Ständig wurden wir Gringos und Gringas von Peruaner*innen bedrängt, die unbedingt Fotos mit uns machen wollten, was mir persönlich super unangenehm war. Zum Glück bin ich nicht blond, sonst wäre es mit Sicherheit noch viel schwerer gewesen, sich da rauszureden. Am „schlimmsten“ war es wohl für meinen einen Mitfreiwilligen, der nicht nur blond ist, sondern auch halblange Haare hat, weshalb er regelmäßig für den Schauspieler von Thor gehalten wird bzw. sich Leute einen Spaß daraus machen zu behaupten, dass er es sei.
Hierzu eine schöne Stilblüte: „Victor bei der Caminata zu einer Herde peruanischer Kinder in Chaglla (zeigt auf Leander): ‚Yo no soy de Alemania. Soy de aquí. Pero ellos son de Alemania. Él es actor de película. Es Thor!‘ Kinderhorde kreischt im Chor begeistert auf. Leander setzt einen entsetzten Gesichtsausdruck auf und flieht."
Tja, und nach dem Empfang haben wir uns alle auf verschiedene Camionetas und Autos verteilt und sind zum eigentlichen Ausgangspunkt unserer Wanderung – Muña – gefahren. Das Dorf schien mir überdurchschnittlich reich zu sein. Trotz seiner Größe, oder eher Kleine, hatten die dort eine sehr schöne Primaria und auch eine Secundaria. Sogar mit Spielplatz. Einige Familien im Dorf hatten sich bereit erklärt jeweils ein paar der Teilnehmenden für die Nacht bei sich aufzunehmen. Wir, also Lena, ich und noch eine ehemalige Ecoselva-Freiwillige, haben ein kleines Zimmer im zweiten Stock eines Hauses zugeteilt bekommen. Da darf man sich jetzt natürlich kein deutsches Haus vorstellen. Nach oben ging es über eine Leiter, alles war aus Holz und die Fenster waren nicht aus Glas, sondern mit Stoff verdeckt. Geschlafen haben wir auf dem Boden, wir haben aber eine dünne Matratze und ein paar Decken bekommen. Ich will mich auch auf keinen Fall beschweren, ich versuche nur, dass Ganze so beschreiben, dass man einen realistischen Eindruck bekommt! Abendessen gab es weiter vorne im Dorf: Gemüsesuppe und Tee. Geschlafen habe ich ziemlich gut, nur bin ich irgendwann morgens mit sehr kalten Füßen aufgewacht, weil ich die Temperaturen ein bisschen überschätzt hatte und deshalb im kurzen Schlafanzug und ohne Socken geschlafen habe.
Am nächsten Morgen ging es nach dem Frühstück und einiger Trödelei irgendwann gegen 9 Uhr dann endlich los. Die Behauptung ursprünglich: Etwa vier Kilometer bergauf, dann nochmal vier geradeaus und leicht bergab bis zum Dorf Tambo de Vacas. Was sich am Ende des Tages als die Wahrheit heraus gestellt hat: Zehn Kilometer bergauf. Gut, dass ich das nicht vorher wusste, sonst hätte ich mich nicht mehr oder weniger motiviert trotz praller Sonne immer wieder in dem Glauben bis um die nächste Kurve geschleppt, dass der Anstieg sicherlich bald zu Ende sein würde… Zwischendurch haben wir eine Mittagspause gemacht, um etwas zu essen. Unser Essen hatten wir in Muña mitbekommen.
Am frühen Abend sind wir schließlich in Tambo angekommen. Das Dorf liegt auf etwa 3,500 Metern und befindet sich wirklich in der absoluten Einöde. Zu erreichen ist es nur zu Fuß oder von Muña aus mit dem Moto. Aufgrund der Höhe ist es dort oben auch wesentlich kälter als in Muña und schon kurze Zeit nach unserer Ankunft, sobald die Sonne untergangen war, wurde uns Allen sehr schnell sehr kalt. Auf dem Dorfplatz wurde erst noch eine Runde Fußball gespielt und dann haben wir versucht uns aufzuwärmen, indem wir Musik angemacht und ein bisschen getanzt haben. Es wurde aber wirklich ständig alles gefilmt und fotografiert, weswegen mir das dann so mäßig angenehm war und ich lieber aus sicherer Entfernung zugeschaut habe. Eine Dorfbewohnerin hatte dann Mitleid mit mir und der ehemaligen Ecoselva-Freiwilligen, weil uns wohl anzusehen war, wie kalt uns war und hat uns mit in eines der Häuser genommen, wo gerade über offenem Feuer das Abendessen in der Küche gekocht wurde. Da haben wir uns dann dazu gesetzt und uns aufgewärmt. Es hat sich ein bisschen angefühlt, als wären wir in einem Fantasy-Roman. Wir wurden gefragt, ob wir dann auch gleich bei der Familie übernachten wollten. Sie hätten Platz für sechs Personen. Das Angebot haben wir gerne angenommen und dann auch noch Lena dazu geholt.
Nach einer Weile kam dann aber einer der Organisatoren dazu und hat ein mittelgroßes Drama veranstaltet, weil wir angeblich noch keine Unterkunft hätten. Er wäre dafür verantwortlich und wir hätten zu ihm kommen müssen. Wir haben dann erklärt, dass wir schon mit der Familie ausgemacht hätten, dass wir bei ihnen übernachten würden. Was dann passiert ist, ist mal wieder ein super Beispiel für Sexismus in Peru. Der Typ hat sich so sehr aufgespielt, uns nicht zugehört und uns zig mal erklärt, dass wir noch keinen Platz zum Schlafen hätten, dass er der Boss wäre usw. Die Frau, die uns vorher angeboten hatte, das wir bei ihnen unterkommen können hat sich offensichtlich auch nicht getraut ihm zu widersprechen. Es hat uns drei unfassbar wütend gemacht, dass der Typ uns nicht zugehört hat und uns stattdessen bloßstellen wollte und es so dargestellt hat, als wären wir schwer von Begriff und ein bisschen blöd. So als wären wir Kindergartenkinder hat er uns dann auch noch in einem reichlich überheblichen Tonfall „abgefragt“, um wie viel Uhr wir morgen aufstehen sollen, wann es Frühstück gibt und wann wir loslaufen. Dann meinte er, er würde uns drei jetzt eine Unterkunft nur für Frauen suchen und hat sich wenig dafür interessiert, dass wir gesagt haben, dass es weder zwingend nötig wäre, uns nicht zu trennen, noch dass es unbedingt ein Zimmer sein müsste, in dem nur Frauen schlafen. Mir ist klar, dass man anhand dieser Beschreibung jetzt vielleicht nicht unbedingt nachvollziehen kann, warum wir drei so enorm angepisst von diesem Mann waren, aber viel hängt in solchen Fällen natürlich auch von Körpersprache und Tonfall ab… Ich wollte es trotzdem erzählt haben, vielleicht ist es ja doch besser nachvollziehbar als ich gerade denke.
Wir haben dann übrigens zu zehnt oder so in einem Raum geschlafen – Männer und Frauen. Super nett war, dass wir von den Besitzern des Hauses noch einen Haufen Decken und sogar Kissen bekommen haben, denn wir hatten ja nur dünne Schlafsäcke und bei den Temperaturen dort oben wären wir sonst bestimmt halb erfroren. So ging es dann aber recht gut und war auch erstaunlich bequem. Zu essen gab es in Tambo zu 90% Kartoffeln: eine Süßspeise aus fermentierten Kartoffeln, die wohl acht Monate in fließendem Wasser liegend müssen, die mir leider überhaupt nicht geschmeckt hat, Kartoffelsuppe und gekochte Kartoffeln.
Für das Mittagessen am nächsten Tag wurde uns aber auch Reis eingepackt und ein bisschen Käse, wenn man wollte. Die Nicht-Vegetarier haben natürlich auch noch Fleisch dazu bekommen.
Bevor es losging haben wir natürlich erst noch gefrühstückt (Kartoffelsuppe), diesmal in einer anderen Küche. Dort sind überall Meerschweinchen rumgerannt, einige haben sich sogar am Feuer gewärmt, was ziemlich süß aussah. Natürlich werden die alle irgendwann gegessen, aber niedlich sind sie trotzdem.
Nach dem Frühstück ging der zweite Teil der Wanderung los. Angeblich: Eine Stunde bergauf, dann nur noch bergab bis zum nächsten Dorf, Cushi. Insgesamt 18 Kilometer. Tatsächlich: Eine Stunde bergauf, dann ein bisschen auf und ab, dann nur noch bergab. Insgesamt 21 Kilometer. Das Problem: Extrem schlechte Wege. Diese Wanderung war die mit Abstand anstrengendste, die ich jemals gemacht habe. Zwischendurch dachte ich echt, ich fange gleich vor Frust an zu heulen, weil es so anstrengend war, meine Knie und Füße wehtaten, ich Hunger hatte und kaum noch Wasser dabei hatte…
Wir waren an dem Tag insgesamt fast 11 Stunden unterwegs, bevor wir mit Einbruch der Dunkelheit gegen 18 Uhr in Cushi ankamen. Die letzten kamen sogar erst eine Stunde später an. Dann haben wir beim Durchzählen feststellen müssen, dass noch zwei Leute fehlen, die vor Stunden das letzte Mal gesehen wurden. Während einige das SEHR Besorgnis erregend fanden, haben andere Scherze darüber gemacht. Nach kurzer Überlegung hat sich dann eine Gruppe mit Motos aufgemacht, um die beiden zu suchen. Es gab eine Theorie dazu, wo sie wohl falsch abgebogen waren. Nochmal: Es war schon seit einiger Zeit dunkel. Bei Dunkelheit ist der Regenwald wirklich kein Ort, an dem man sich verlaufen möchte und man wollte sich nicht ausmalen, was alles hätte passiert sein können. Zum Glück kam der Suchtrupp nach weniger als einer Stunde mit den zwei zurück. Sie waren tatsächlich falsch abgebogen, hatten das dann aber irgendwann bemerkt und hatten umgedreht. Irgendwo sind sie dann wohl an einer Hütte vorbeigekommen und hatten sich schon überlegt, dass sie notfalls dort übernachten könnten, als sie die Lichter der Motos des Suchtrupps gesehen haben. Wir waren alle sehr erleichtert, dass das Ganze keine dramatische Wendung genommen hat und alle unverletzt geblieben sind.
In der letzten Nacht hatten wir die mit Abstand luxuriöseste Unterkunft: Ein echtes Bett mit Matratze in einem vergleichsweise warmen Haus! Ich habe echt super geschlafen.
Am Sonntag, dem letzten Tag, konnten wir sogar ein bisschen länger schlafen bevor es Frühstück gab. Dann ging es los auf die dritte und letzte Wanderetappe. Erst eine halbe Stunde bergauf, wo am Aussichtspunkt symbolischer Weise ein paar Bäume von den Teilnehmer*innen gepflanzt wurden, dann quasi nur noch bergab bis Tingo Mal Paso. Meine Knie fanden es nicht so toll, aber wir haben die 13 Kilometer in ungefähr 3,5 Stunden geschafft.
Von Mal Paso aus sind wir mit Camionetas bis zum Ortseingang von Pozuzo gefahren, um dann das letzte kleine Stück bis zum Plaza de Armas zu Fuß zurückzulegen. Ich sag ja: Ein bisschen Schummeln gehörte dazu. Dort gab es dann wieder einen ziemlich feierlichen Empfang und im Anschluss ein ziemlich verspätetes Mittagessen, weil die letzten in Mal Paso einige Stunden später ankamen als im Programm vorgesehen, weshalb sich dann alles nach hinten verschoben hat. Den letzten Teil des Programms, der in Prusia, also dem „Vorort“ von Pozuzo, stattfand, habe ich allerdings verpasst, weil ich mich um 17 Uhr zum Terminal aufgemacht habe, um wieder zurück nach Oxapampa zu fahren und am nächsten Tag zu einem meiner letzten Arbeitstage pünktlich im Büro zu sein.
Alles in Allem bin ich froh die Wanderung mitgemacht zu haben. Ich habe auch einige interessante Gespräche mit Peruaner*innen, einem Mädchen aus Ecuador und den anderen deutschen Freiwilligen geführt. Trotzdem war ich – wieder mal – sehr froh, als ich gestern Abend wieder entspannt in meinem bequemen Bett in Oxa lag.
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