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  • Writer's pictureMaja Büttner

Gastbeitrag: Einsatzstelle an der Secundaria in Mal Paso - Lena // #21

Hi!

Heute gibt es mal einen etwas anderen Blog-Eintrag. Einen Gastbeitrag sozusagen.

Ich habe ja öfter schon die anderen Freiwilligen erwähnt, die in meiner Nähe arbeiten. Aktuell mache ich ein Praktikum bei Lena, die im Dorf Tingo Mal Paso, das mit dem Auto etwa 30 Minuten von Pozuzo entfernt liegt, in der Secundaria (also in der Sekundarschule, 7.-11. Klasse) arbeitet. Ich dachte mir, dass es sicher mal eine interessante Abwechslung wäre, einen Eindruck von einem weiteren weltwärts-Projekt zu bekommen. Vor allem muss ich dann nicht mehr so viel erklären, wenn ich demnächst von meinem zweiwöchigen Praktikum bei Lena berichte. Ich, also mas-maja-GmbH, präsentiert: Lenas Gast-Blogbeitrag!


Hallo!

Für alle die mich nicht kennen: Ich heiße Lena, bin 19 Jahre alt und kenne Maja schon seit wir gemeinsam eingeschult wurden…damals. (Vor gefühlt sehr kurzer Zeit.) Dass wir beide in Peru gelandet sind, war auch nicht völlig zufällig. Aber obwohl ich nur etwa 3 Stunden entfernt von ihr wohne hier in Peru (in Deutschland wohne ich auch in Bad Neustadt), sehen wir uns nicht unbedingt ständig und haben durchaus beide unser eigenes Auslandsjahr. Ich kann nur mutmaßen, aber wahrscheinlich wollte Maja deshalb, dass ich hier mal meinen Senf dazugebe und ich fühle mich natürlich sehr geehrt auch einmal das Wort erteilt zu bekommen. In diesem Sinne: Viel Spaß mit meinem Gastbeitrag, der – fleißig wie ich bin – aus einer abgeänderten Version eines Berichts für Ecoselva besteht, in dem ich versucht habe alles Interessante aus meinen ersten Monaten in Peru zusammenzufassen.


Gehen wir chronologisch vor: Nach dem fünftägigen Vorbereitungsseminar in der Hauptstadt Lima habe ich mit den 4 anderen Freiwilligen, die in dieser Region eingesetzt werden, einen Nachtbus nach Oxapampa genommen. Von hier aus ging es dann über Pozuzo weiter nach Tingo Mal Paso. Den ersten Tag haben ich und mein Mitfreiwilliger hier dann damit verbracht, unsere neuen Unterkünfte einzurichten. Hier hat der erste wirkliche Kulturschock auf uns gewartet. Die Unterkunft meines Mitfreiwilligen war bei unserer Ankunft bis auf eine leere Schnapsflasche gänzlich leer. Dafür sind die Wände so durchlöchert, dass später jede Nacht Ratten zu Besuch kamen und immer noch kommen. Nach einigen Stunden Arbeit hatte die Tür am Ende des Tages ein Schloss und der Raum war ausgestattet mit Stühlen, Tisch, einem Gasherd und Geschirr. Diesen Küchenbereich teilen wir uns. Meine eigene Unterkunft dagegen wurde bei unserer Ankunft erstmal in Augenschein genommen und mangels Fenstern für nicht ausreichend befunden. Dann musste erstmal eine andere gesucht werden. Schließlich bin ich dann doch in einem ziemlich schönen Zimmer unterkommen, ausgestattet mit einem Tisch und zwei Betten, wovon eines für eine andere Lehrerin der Schule und ihren 5-jährigen Sohn vorgesehen war. Die beiden waren dann aber nur drei Nächte pro Woche da.



Das Zimmer, in dem ich bis Weihnachten gewohnt habe.

Tingo Mal Paso von oben.

Am zweiten Tag im Dorf haben wir es uns gleich zum Ziel gemacht einen Ausflug nach Pozuzo zu unternehmen und dafür die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen: Geländewägen, die für den Transport zwischen Pozuzo, über Tingo Mal Paso, bis in weiter entfernt liegende Dörfer Innenbereich und Ladefläche gleichermaßen mit Fahrgästen und Gepäck beladen werden. Wann die abfahren? Morgens. Meistens so zwischen 7 und 9 Uhr. Wo? Naja hier. Auf der Straße. Und wann sie zurückfahren? „Por la tarde“, was so viel heißt wie zwischen 12 und 8 Uhr. Da wird der deutsche, auf Pünktlichkeit und minutengenaue Abfahrtszeiten trainierte Geist schon etwas gestresst. Durch Umstände, die zu erläutern an dieser Stelle zu weit führen würde, haben wir diese Autos aber verpasst und uns stattdessen von jemandem aus dem Dorf auf dem typischsten aller Transportmittel mitnehmen lassen: einem verschmutzten, etwas in die Jahre gekommenen, aber geländetauglichen Motorrad. Ja, der Singular ist hier korrekt. Wir sind landestypisch zu dritt darauf gefahren, selbstredend ohne Helm. Statt einem dritten Erwachsenen können wahlweise auch bis zu drei Kinder zusätzlich mitgenommen werden, die zwischen den Erwachsenen sitzen. Hierbei sitzt die dritte Person wahlweise auf einem Schutzblech oder einem Gerüst, auf dem ansonsten alles von Reissäcken, über drei Meter lange Eisenstangen, bis hin zu Flachbildschirmen festgebunden werden kann.

Nach einem vergleichsweise ereignislosen Nachmittag in Pozuzo mussten wir natürlich feststellen, dass das letzte Auto nach Tingo Mal Paso schon abgefahren war. Zum Glück konnte die Rückfahrt wieder ähnlich wie die Hinfahrt organisiert werden, diesmal sogar mit zwei Motorrädern.


Der dritte Tag, Montag, war dann mein erster Arbeitstag in der Secundaria, die von Schülern der siebten bis elften Klasse besucht wird. Als ich, wie abgesprochen, um halb acht an der Schule ankam, wurde ich von dem Lehrer empfangen, der mich auch schon bei der Beschaffung einer Unterkunft unterstützt hatte. 20 Minuten später hat er mich informiert, dass die anderen Lehrer vermutlich nicht kommen würden, da wegen Regen der Weg aus Pozuzo nicht passierbar wäre. Ob ich nicht stattdessen eine Klasse für 1,5 Stunden übernehmen könnte. Ich sollte Englischunterricht mit ihnen machen. Pronomen wären ein gutes Thema. Ich, innerlich völlig in Panik, musste natürlich trotzdem ja sagen und habe kurz darauf meine erste Unterrichtstunde begonnen.

In diesem Jahr wurden wegen der Pandemie siebte und achte, sowie neunte und zehnte Klasse zusammen unterrichtet. Zum Glück sind die Klassen hier sehr klein und die Schüler beinahe immer nett und kooperativ. In meiner früheren deutschen Schule hätte ein solches Experiment sicherlich katastrophal geendet. Die Kombination verschiedener Umstände, wie dem lokalen Dialekt der Schüler oder der auf dem Dach prasselnde Regen, hat dazu geführt, dass ich beinahe kein Wort von dem verstanden habe, was die Schüler mir zu sagen versuchten. Gleichzeitig haben sie mir nicht gesagt, wenn sie mein brüchiges Spanisch nicht verstanden haben. So habe ich eine gute halbe Stunde gebraucht um zu bemerken, dass die Schüler nach mindestens drei, bzw. vier Jahren Englischunterricht immer noch kein Wort Englisch sprechen, verstehen, schreiben oder lesen können. Danach haben wir die Stunde mit der Übersetzung zufällig ausgewählter Vokabeln, wie „Guten Morgen“, „danke“, oder – mit Abstand am häufigsten nachgefragt – „Ich liebe dich“ verbracht. Der Spaß hat sich danach noch mit einer anderen Klasse wiederholt, während der andere Lehrer die beiden jeweils übrigen Klassen beschäftigt hat. Zum Glück war ich als Deutsche spannend genug für die Schüler, um ihr Interesse, bzw. meine Autorität nicht zu verlieren. Dieser Effekt hält sogar noch bis heute an.


Das Tafelbild einer meiner ersten Unterrichtsstunden.

Am nächsten Tag und an zahlreichen weiteren im Laufe des Jahres hat sich dieser Tagesablauf dann noch wiederholt. Allerdings wurde sehr bald darauf dazu übergegangen, Montag und Freitag nur digital zu unterrichten, offiziell wegen Corona, meinem Empfinden nach aber eher, weil nicht mehr Lehrer als nötig die schwierige Anfahrt auf sich nehmen müssen sollten.

Und ich verdenke es ihnen nicht. Keiner der Lehrer kommt aus Tingo Mal Paso. Einige leben in Pozuzo, andere sind von weiter weg angereist. An den Wochenenden fahren sie zurück zu ihrer Familie und ihren Kindern, sofern diese schon in die Schule gehen und deshalb nicht mit ihren Eltern zur Arbeit kommen können. Da die Schule fast zwei Jahre lang geschlossen war, hatten sie auch größtenteils keine Unterkunft im Dorf gemietet und mussten jeden Tag aufs Neue aus Pozuzo anfahren. Und selbst nachdem die Regenzeit dieses Jahr beinahe ausgefallen wäre, kann man doch bei fast jeder Fahrt Felsbrocken auf der Straße liegen sehen, die am Tag vorher noch nicht da waren.

An eher trockenen Tagen bestand meine Aufgabe darin, die Englischlehrerin zu unterstützen. In Peru neigt man nämlich dazu, wenn für ein bestimmtes Fach kein Lehrer gefunden werden kann (und an englischsprechenden Lehrern gibt es einen wirklich schwerwiegenden Mangel), oder wenn ein Fach nur so wenige Stunden pro Woche unterrichtet wird, dass es sich nicht lohnt, jemanden dafür einzustellen, es fachfremd unterrichten zu lassen, von wem auch immer noch Stunden fehlen. Die Englischlehrerin des Jahres ist eigentlich eine wirklich fähige Kunstlehrerin, die mit

keiner Fremdsprache irgendetwas am Hut hat. Ihr Englischunterricht bestand deshalb daraus, Blätter aus einem Buch, das für genau solche Fälle erstellt wurde, mit den Schülern auf Spanisch zu bearbeiten. Die gelegentlich in dem Buch spontan eingestreuten englischen Sätze habe ich dann vorgelesen und manchmal die Aussprache mit den Schülern geübt.


Ich mit der Englischlehrerin und einigen Schülern.

Die Kommunikation und Arbeit auf dem Schulgelände wurde dadurch erschwert, dass es keinen Internetempfang gab, was zum Beispiel für die Übersetzung einiger Wörter oder generelle Unterrichtsvorbereitung sehr nützlich gewesen wäre. Aktuell haben nur wenige private Haushalte einen eigenen Anschluss an Satelliten-WLAN. Alle anderen bekommen ihren Zugang in Geschäften, die stundenweise vermieten. Das allerdings ändert sich im Schuljahr 2022. Zunächst können die Lehrer privates WLAN mieten, dass fast über das gesamte Schulgelände reicht, und ab Mai soll ein Sender fast das ganze Dorf versorgen.

Abgesehen von der Begleitung des Englischunterrichts habe ich versucht, mich so weit wie möglich nützlich zu machen, zum Beispiel indem ich die Kinder im Kindergartenalter, die Lehrerinnen mit in die Schule gebracht hatten, betreut habe oder mich mit dem sehr eigentümlichen Drucker bekannt gemacht habe. Die letzten Schulwochen haben dann gänzlich virtuell stattgefunden, sodass ich 2021 nur bei knapp 2 Monaten Unterricht dabei war.


Die Schule.

Damit war ich an Regentagen gut vier Stunden und an trockenen Tagen manchmal überhaupt nicht, höchstens aber 1,5 Stunden beschäftigt. Da es hier auf dem Dorf auch sonst nur wenige Beschäftigungsmöglichkeiten gibt (dazu später mehr) und meine Mithilfe an der Schule auch nicht viel gebracht hat (am lehrreichsten waren für die Schüler auf jeden Fall die Tage, an denen ich stundenlang mit verschiedenen Klassen und noch ziemlich hinderlicher Sprachbarriere improvisiert habe), habe ich schon nach wenigen Wochen sehr ernsthaft über einen Projektwechsel nachgedacht. Letztendlich habe ich mich dann aber dagegen entschieden, weil mir fürs nächste Jahr sehr viel mehr Arbeit versprochen wurde und weil ich trotz allem wirklich toll aufgenommen wurde und wirklich den Eindruck hatte, dass man an der Schule und im ganzen Dorf sehr dankbar für meine Anwesenheit war. Und weil mir das Leben in Tingo Mal Paso mit allen äußeren Umständen wirklich gefallen hat und weil man leider zu einigen Themen sagen kann, wenn ich nicht versuche, sie den Schülern näher zu bringen, wird es niemand tun. Das Interesse bei den Schülern ist nämlich auf jeden Fall da. Sie bekommen hier genau so viel Bildung, wie die Lehrer (und Freiwilligen) ihnen bereit sind zu geben.


Die Ernährung vor Ort ist etwas schwierig, weil traditionell hauptsächlich Hühnchen und Reis auf dem Speiseplan stehen. Früchte werden direkt vom Feld verkauft, aber Gemüse ist nahezu unmöglich zu finden. Die Menschen bauen es nur für den Eigenbedarf an. Selbst kochen ist also für Vegetarier schwierig und für alle anderen zumindest einseitig. Für das Jahr 2022 ist aber organisiert, dass ich bei der Familie, wo ich vorher gewohnt habe, frühstücke und mittagesse. Das Essen dort ist gut und sogar die vegetarische Version ist ziemlich abwechslungsreich. Für das Abendessen kann man sich in den verschiedenen kleinen Läden im Ort Brot, Avocado, Eier, Reis, Bananen, Yucca, Nudeln, fertige Tomatensoße, Bananenstrudel, etc. kaufen. Wasser bereitet man sich am besten selbst vor, sonst wird es teuer. Vor der 10-münitigen Kochzeit muss es erst noch ein paar Stunden in einem Eimer stehen, damit sich der gröbste Schmutz absetzt. Aber obwohl das erstmal ja nicht gerade Vertrauen weckt, hatte ich bisher keinerlei gesundheitliche Probleme damit.


Abspülen und Wäschewaschen findet natürlich von Hand statt, aber anders als in den umliegenden Dörfern gibt es immerhin Wassertoiletten. Dinge des täglichen Gebrauchs findet man immer in den genannten Läden im Ort. Dazu zählt generell alles was so zum Überleben nötig ist, beispielsweise Zahnbürsten, Eimer, Besen und ein Spray mit dem wundervollen Namen „Mata todo“. Zu Deutsch: „Tötet alles“, eigentlich für alle möglichen Arten von kleinen Tieren gedacht. Wir haben es gegen winzige holzfressende Insekten gekauft, die sich an der Küche zu schaffen gemacht hatten. Dem Geruch nach zu urteilen würde ich aber auch nicht ausschließen, dass der Name tatsächlich Programm ist und „todo“ Menschen miteinschließt. Für eine Auswahl an Produkten, Luxusartikel oder allgemein jede Art von Sonderwunsch muss man sich aber mindestens auf den Weg nach Pozuzo, oft auch nach Oxapampa, La Merced oder Lima machen. Besonders Pozuzo ist für Freiwillige aus Tingo Mal Paso aus verschiedenen Gründen einen Wochenendtrip wert. Die Fahrtkosten sind relativ gering und das Freizeitangebot in Pozuzo ist weit größer. Bars, ein Club, verschiedene Restaurants, von Tourismusagenturen angebotene Ausflüge und auch andere Freiwillige aus Deutschland und Österreich sind hier zu finden. In Tingo Mal Paso dagegen gibt es vor allem die Möglichkeit zu Spaziergängen und Wanderungen. Die kaum befahrenen, oft steilen Straßen in umliegende Dörfer geben schöne Wanderwege ab. Abgesehen davon ist man mit der Freizeitgestaltung aber ziemlich auf sich selbst gestellt. Es ist ratsam, immer auch Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben, die keine Elektrizität erfordern, da mit Stromausfällen stets zu rechnen ist.



Beim Spazieren in der Gegend.

Die Straßen zwischen Tingo Mal Paso und Oxapampa sind größtenteils nicht befestigt. Zu Jahresende wurden sie zwar präpariert und waren dann ziemlich gut (dank verspätet einsetzender Regenzeit bis in den Februar hinein). Als es dann mehr geregnet hat, war es damit allerdings vorbei. Vor allem mit dem Motorrad gleicht der Weg aktuell einem Parcours, dessen Hindernisse Spitznamen wie „Canyon“ oder „Minenfeld“ bekommen haben. Die einzige wirkliche Gefahr sind aber eigentlich Erdrutsche. Die Straße nach Tingo Mal Paso ist da noch einigermaßen sicher, Reisen nach Codo de Pozuzo oder Oxapampa sollte man während der Regenzeit allerdings am besten spontan je nach aktuellem Zustand der Straße planen. Durchkommen gibt es im Zweifelsfall allerdings immer. Es kann aber passieren, dass man einige Stunden auf ein Räumfahrzeug warten muss. Wenn die Straße über längere Zeit weggebrochen oder zugeschüttet ist, wird stattdessen eine Möglichkeit gefunden, die Stelle zu Fuß zu passieren.


Das örtliche Äquivalent einer Bundesstraße.

Aufräumarbeiten nach einem kleineren Erdrutsch.

Alles in Allem ist das Leben in Tingo Mal Paso ruhig und vor allem wetterabhängig. Ich habe schnell gelernt, meine Tage größtenteils mit peruanischer Ruhe und Spontanität anzugehen. Wenn es in fünf Minuten anfängt zu regnen, dann geht man jetzt halt nicht aufs Feld. Wenn die Straße zu ist, kann man halt nicht nach Pozuzo fahren. Manchmal bin auch doch noch schlecht gelaunt, oder gestresst, wenn etwas nicht nach Zeitplan verläuft. Aber ich habe festgestellt, dass aus solchen, auf den ersten Blick enttäuschend scheinenden Situationen meistens schließlich doch noch etwas sehr Gutes entsteht. Man schließt neue Freundschaften während man auf das Räumfahrzeug für die Straße wartet. Man wird auf der Ladefläche eines Pickups mitgenommen, wenn aus unverständlichen Gründen keine Mototaxis aufzutreiben sind. Man macht sich in großer Runde einen geselligen Abend, wenn nach ein paar Stunden Stromausfall und Dunkelheit niemand mehr etwas anderes zu tun hat. Generell ist irgendwie alles geselliger.


Trotz der vielen Ruhe passieren aber auch immer wieder Dinge, mit denen man niemals gerechnet hätte. Langeweile hält nie besonders lange und immer, wenn man gerade Gefahr läuft es zu vergessen, erinnert einen irgendetwas daran, wo man sich gerade befindet und wie verrückt das irgendwie ist. Beispiel dafür wären die regelmäßigen Erzählungen von Sichtungen unbequemer Tiere, wie riesigen Schlagen, sehr giftigen Spinnen und den verrücktesten Insekten, zum Beispiel von der Art Maden, die sich unter der Haut von Menschen einnistet. Einmal kam mir bei einem Spaziergang eine Gruppe von vier oder fünf Personen vorbei, die offensichtlich in der Gegend wohnten und mich wohl auch erkannten. Der außergewöhnliche Teil war, dass eine von ihnen den abgeschnittenen Schwanz eines Esels in der Hand mit sich trug. Die Schnittstelle sah sehr frisch aus und wohl auch nicht sehr appetitlich. Ekel war aber tatsächlich nicht meine erste Reaktion, sondern vor allem völlige Überraschung. Immerhin scheint das nicht ganz normal zu sein, danach zu schließen, dass auf meine konsternierten Blicke sofort eine Erklärung folgte. Ich werde mich wohl noch den Rest meines Lebens darüber ärgern, diese Erklärung wegen des schwierigen Dialekts und meinen damals noch kaum vorhandenen Spanischkenntnissen nicht im Geringsten verstanden zu haben. Auch in der Behandlung von lebenden Tieren, vor allem von Kühen habe ich schon einige unschöne Szenen beobachtet. Gleichzeitig übertreffen die Lebensverhältnisse der meisten Nutztiere hier die in Deutschland und generell westlichen Ländern üblichen, soweit ich das beurteilen kann, trotzdem noch bei weitem. In der Regel leben sie nämlich draußen, mit recht viel Platz und im Falle von kleineren Tieren ernähren sie sich hauptsächlich von den Essensresten der Menschen.

Dieses von mir allgemein als sehr positiv wahrgenommene Dorfleben hat allerdings auch seine Schattenseiten, vor allem in Bezug auf eher neu aufgekommene Themen wie Gleichberechtigung zwischen Geschlechtern oder Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Frauen. Männer, die ihren Ehefrauen und Kindern gegenüber gewalttätig sind, sind keine Seltenheit. Das wird zwar nicht gerne gesehen, aber ist auch kein Skandal, wie das in Deutschland zumindest meistens der Fall wäre. Letztendlich kann man auch wenig dagegen tun. Hilfe- und Beratungsstellen oder gar Einrichtungen wie Frauenhäuser gibt es natürlich nicht. Wenn es sie gäbe, würden sie vor lauter schlechter Organisation und vor allem Korruption wohl doch niemandem weiterhelfen können. Und sich einfach scheiden zu lassen, würde die Frauen mit ihren Kindern auf der Straße zurücklassen. Finanziell sind sie komplett abhängig von ihren Ehepartnern. Noch schwieriger wird das Thema durch fehlende sexuelle Aufklärung. Die Jugendlichen beginnen schon sehr jung mit sexuellen Aktivitäten, oft ohne die möglichen Konsequenzen zu kennen.

Das Ergebnis ist – wer hätte es geahnt – natürlich ein Haufen junger Mütter unter den Schülerinnen, deren weiterer Lebensweg nach der Schule damit ziemlich in Stein gemeißelt ist. Eine Schülerin der 10 Klasse, 17 Jahre alt, die ich auch privat kenne, ist in während meiner Zeit hier schwanger geworden. Ihre Familie war davon wirklich unbegeistert, auch weil ihr Partner wohl schon beinahe 30 und gewalttätig ist und auch mit Alkohol kein unproblematisches Verhältnis hat. Keine 2 Monate später wohnt sie mit diesem Mann zusammen, er wird als ihr „esposo“, dt. Ehemann (nochmal: sie ist 17), bezeichnet und es liegt jetzt in seiner Verantwortung, Dokumente der Schule, die bei Minderjährigen die Unterschrift der Eltern erfordern, zu unterzeichnen. Dieses Beispiel zeigt vielleicht das ungefähre Level an Konservativismus mit dem man es hier zu tun.

Genauso problematisch steht es um psychotherapeutische Betreuung. Die Schulbehörde aus Oxapampa hat zwar für dieses Jahr tatsächlich Psychologen eingestellt, aber deren Hilfe bestand bisher nur darin, ein Seminar für die Lehrer zu deren emotionaler Bewältigung der Pandemie zu geben. Dazu, dass einige Schüler der Schule dringend eine Therapie bräuchten, zum Beispiel wegen Magersucht oder, im Falle eines Schülers, psychischen Einschränkungen, die täglich die ganze Schule stören und gefährden, heißt es nur, dass das nicht der Zuständigkeitsbereich dieses Psychologenteams wäre. Ein anderes gibt es nicht. Generell ist allen Lehrern klar, dass man von dieser Behörde in keiner Weise Hilfe erwarten kann. Gründe sind vor allem Korruption, aber auch ein umfassendes Desinteresse für alles, was hinter den Grenzen der Kreisstadt Oxapampa liegt. Und privat eine Psychotherapie zu finanzieren kann sich natürlich niemand leisten.


Was mir bei diesen Themen Hoffnung gibt, ist, dass sich trotz allem offensichtlich auch schon viel verändert hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Zum Beispiel gab es wohl vor 15 Jahren in dieser Gegend noch gar keine Straßen, denen man auch in Deutschland diesen Namen zugestanden hätte, nicht einmal wie heute im Zentrum Pozuzos und Oxapampas. Auch die Bildung hat sich auf jeden Fall verbessert. Es ist ziemlich auffällig, dass die Analphabetenrate unter den älteren Menschen noch weit höher ist. Gerade Frauen haben vor einigen Jahrzehnten scheinbar häufig nicht einmal die Grundschule besucht, Männer selten eine Sekundarschule. Heute gehen, soweit ich das beurteilen kann, alle zur Secundaria denen das geografisch (eine Schülerin läuft täglich 3 Stunden pro Weg) und finanziell möglich ist.


Trotz allem ist aber immer noch ein sehr großer Unterschied zwischen ländlichen und städtisch(er)en Gegenden erkennbar. Bildungsmöglichkeiten, Toleranz und Infrastruktur sind in ganz anderem Maße vorhanden. Um dieser Ungleichheit etwas entgegen zu wirken, möchte ich vorschlagen, dass Ecoselva seine Südfreiwilligen nicht an Orten anwirbt, an denen die Bevölkerung sowieso schon sehr privilegiert ist. Wer einmal durch Pozuzo, Santa Rosa, oder Oxapampa spaziert und danach Tingo Mal Paso besichtigt, wird auf den ersten Blick feststellen, wie sehr sich diese Realitäten unterscheiden. Alleine die Häuser, die Menschen und die Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs die einem dabei begegnen zeigen Gräben zwischen den Leben der verschiedenen Bewohner. Und trauriger Weise arbeitet die peruanische Regierung augenscheinlich nicht dagegen an. Lehrer aus Pozuzo, die sowohl in Tingo mal Paso als auch in Santa Rosa gearbeitet haben, haben mir beschrieben, wie viel besser ausgestattet die Schule in Santa Rosa ist, obwohl sie weniger Schüler hat. Das erstreckt sich wohl über alle Bereiche, wie Technologie, Räumlichkeiten, oder zur Verfügung stehende Bücher. In Tingo Mal Paso dagegen musste wohl bis vor wenigen Jahren wahlweise draußen oder in privaten Räumlichkeiten von Lehrern unterrichtet werden, da der Staat für die 5 Jahrgangsstufen und alles was an einer Schule sonst erledigt werden muss genau 4 Räume zur Verfügung gestellt hat. Einer davon so ist ein fensterloser Speicherraum. Die restlichen heute bestehenden Räumlichkeiten (die Schule bringt es auf 5 Klassenzimmer, den Speicherraum und ein Lehrerzimmer / Direktorat / Sekretariat) wurden von den Menschen hier privat finanziert, zum Beispiel von Schülern über den Verkauf von verschiedenen Snacks an Touristen.


Die alteingesessenen Familien mit deutsch-österreichischen Wurzeln leben hier gar nicht so anders als in Deutschland. Aber weiter entfernt von diesen Privilegien findet man Gegenden, die dringend den Anschluss an die restliche, sich globalisierende und akademisierende Welt finden müssen, um nicht dauerhaft zurückzubleiben und auch innerhalb ihres eigenen Landes ein wenig mehr Gerechtigkeit einfordern zu können. Wenn in diesem Land Menschen davon profitieren können, ein Jahr in einem Land wie Deutschland zu leben und eine andere Lebensweise, andere Werte und vor allem deren Umsetzung kennenzulernen, dann sind es Menschen aus Gegenden wie der um Tingo Mal Paso und weiter entfernte Orte. Das Interesse besteht definitiv – beinahe täglich fragen mich Schüler ob für sie nicht irgendwie die Möglichkeit besteht, nach Deutschland zu reisen. Und sie zeigen auch sehr viel mehr Motivation Sprachen zu lernen (bzw. eigentlich generell einfach irgendetwas zu lernen) und von mir mehr über andere Kulturen zu erfahren, als die bereits ausgewählten Freiwilligen, die ich bisher kennengelernt habe. Viele meinen es sicherlich nicht ernst genug, um sich letztendlich wirklich zu bewerben oder haben Verpflichtungen hier, aber ich bin mir beinahe sicher, dass auch einige ernsthafte Bewerber darunter sind.


Weiter zu gesellschaftlichen Themen hier vor Ort. Bisher habe ich auch keine schlechten Erfahrungen damit gemacht, meinen Mangel an Glauben in die christlichen Weltanschauungen zuzugeben. Zumindest den Schülern ist das Konzept Atheismus oder der Gedanke an andere Religionen zwar ziemlich fremd, aber dem Thema mitsamt meinen Begründungen zu meiner eigenen Sichtweise wurde bisher nur mit Interesse begegnet. Genauso ist es auch mit meiner vegetarischen Ernährungsweise. Ich glaube zwar, dass ich deshalb ein paar Mal nicht zum Essen eingeladen wurde, aber Reaktionen waren bisher nur irgendwo zwischen neutral, aber interessiert und positiv. Das Thema Homosexualität ist leider noch ein wenig schwieriger. Doch auch hier wurde ich positiv überrascht. Die katholische Religionslehrerin meiner Schule ist zwar der Meinung war, dass man Kinder nicht unbedingt an diese Möglichkeit heranführen sollte, aber, wenn man schon weiß, dass man nicht heterosexuell ist, dann sollte die Gemeinschaft das akzeptieren. Auf meiner Reise durchs Land während den großen Ferien habe ich allerdings auch einige LGBTQ*-Menschen getroffen, die ihre sexuelle Orientierung zu verheimlichen versucht haben und niemanden, der sie offen gezeigt hat. Immerhin dürfte die Geheimhaltung hier recht einfach sein, bedenkt man, wie stark die Denkweise der Menschen nach wie geschlechtlichen Rollenbildern dominiert ist.

Für den Zeitraum meiner besagten Reise, während der pandemiebedingt dreimonatigen Sommerferien, durfte ich die spannende Erfahrung machen, obdachlos zu sein. Das ist nicht zynisch gemeint– ich habe es tatsächlich genossen. Am Ende des Schuljahres war man sich an der Schule einig, dass ich aus meiner bisherigen Unterkunft ausziehen muss. Die Gründe dafür sind mir selbst nicht gänzlich klar. Zur Auswahl stehen der Hund, der auf dem Gelände gewohnt hat und einmal beim Versuch, auszubrechen jemanden gebissen hat und dass das Haus, in dem meine Unterkunft war, umgebaut wurde / wird und man davon ausging, dass die Besitzer den Raum selbst benötigen würden. (Fun Fact: Das Haus sollte vergrößert werden. Dafür wurde doch tatsächlich ein neuer Dachstuhl durch den bestehenden hindurch-konstruiert. Das alte Haus steht jetzt unter dem Dach des neuen.)


Das Haus in dem ich bis Weihnachten gewohnt habe.

Meine neue Unterkunft war zwar schon gefunden, aber auch noch im Bau und deshalb noch nicht bezugsfertig. Also habe ich, da ich ja eh verreisen wollte, mein Zeug bei einer anderen Freiwilligen in Pozuzo untergebracht und mir drei Monate lang meine Unterkunft für die Nacht im Laufe des vorherigen Tages gesucht. Diese Rastlosigkeit hat mich zu meiner eigenen Überraschung kein bisschen gestört, genauso wenig wie die manchmal doch etwas dürftige Qualität der Unterkunft. Tatsächlich gefiel mir der Lebensstil sehr gut. Solange man nicht zu lange an einem Ort bleibt und die Augen offenhält, fühlt sich das Leben an wie ein unendliches Abenteuer. Dieses endet schließlich erst, wenn man ankommt, bleibt bis ein Ort sich nicht mehr neu anfühlt, oder – Gott bewahre – gar eine Routine entwickelt. Während dieser Zeit habe ich gelernt, dass Langeweile unter den Dingen ist, die mich im Leben am meisten stören (soweit man das eben mit einer Lebenserfahrung von 19 Jahren beurteilen kann). Und Peru ist wirklich ein Land voll mit Wundern, zumindest, wenn man in Europa großgeworden ist. Das einzige wirkliche Problem mit dieser Lebensweise ist, dass es natürlich echt ins Geld geht.

Der Höhepunkt dieser Reise war für mich gleich zu Beginn, an Weihnachten. Das habe ich, zusammen mit meinem Mitfreiwilligen aus Tingo Mal Paso, bei der Familie der Englischlehrerin meiner Schule verbracht. So bin ich zum ersten Mal in den Anden gewesen. In einem kleinen Haus in der Nähe von Tarma haben wir uns vor allem unterhalten und gefroren, aber auch am Morgen des 24. ein Schaf geschlachtet, am Heiligen Abend Pachamanca a la Tierra gekocht und an den Weihnachtsfeiertagen einen dreistündigen Gottesdienst selbst abgehalten, Eselreiten gelernt und Karaoke gesungen.


Das Dorf, in dem ich Weihnachten verbracht habe.

„Kochen“ von Pachamanca.

Ein weiterer Höhepunkt war die 4-tägige Tour durch den Dschungel um Iquitos mit anschließendem Übersetzten von Iquitos nach Yurimaguas auf einem Frachtschiff, wo man in Hängematten mit mindestens 100 anderen Leuten und vor allem auch Kindern übernachtet und auch Essen bekommt (insg. ca. 4 Tage). Schon allein das Wissen, dass man im Amazonasregenwald, teilweise sogar AUF dem Amazonas unterwegs ist, an einem Ort, zu dem keine Straßen führen aus dem einfachen Grund, dass die Natur den Boden so schnell zurückerobern würde, dass es sich für die paar hunderttausend Menschen nicht lohnt, ist atemberaubend. Es ist irgendwie gleichzeitig Herz, Lunge und Ende der Welt. Das Ende, nicht, weil es danach nichts mehr gibt, sondern weil es zu viel gibt. Hunderte Kilometer Wald in jede Richtung, aber kein wirtschaftlich genutzter Nadelwald, sondern der Dschungel, den man aus dem Dschungelbuch, Terra X und den Parasitendokumentationen aus dem Biounterricht kennt. Und dem wird dieser Dschungel absolut gerecht. Affen, Faultiere, Termiten, Taranteln, Skorpione, Milliarden vom Mücken, andere stechende Tiere, die sehr viel schmerzhafter, dafür aber nicht zu benennen sind – alles da. Und dazu passend auch der Guide, der mit Machete den Weg freischlägt und immer, wenn etwas nicht nach Plan läuft (z.B. er von Wespen gestochen wurden, die unsere europäischen auf jeden Fall in den Schatten stellen) mit den Schultern zuckt und sagt „Es parte de la aventura“ (dt. Das ist Teil des Abenteuers).

Die Faszination vervollständigt sich durch die Tatsache, dass eine Reise von einem bis nicht einmal zum anderen Ende des Landes ohne Flugzeug 7 Tage gedauert hat.

Auf dem Boot von Iquitos nach Yurimaguas.



Der Dschungel von innen.

Die Spinne war ungelogen größer als meine Handfläche.

Ein Seitenarm des Amazonas (nur mit kleineren Schiffen befahrbar).


Besagte Reise brachte mich und meine Gefährtinnen dann nach Cusco, eine Stadt mit ganz eigenem Zauber. Durch ihren kolonialistisch beeinflussten Baustil erinnern Teile des historischen Zentrums tatsächlich an europäische Innenstädte, wobei auch peruanische Architektur und vor allem einige Mauern die noch original von den Inka stammen das Stadtbild wirklich einzigartig machen. Meine Lieblingsbeschäftigung dort war es tatsächlich, einfach durch das Zentrum zu schlendern und all die internationalen beeinflussten Restaurants und Geschäfte zu besuchen. Auch traditionelles Kunsthandwerk ist in rauen Mengen und zu vernünftigen Preisen zu finden. Hier habe ich mich auch gleich mit Beschäftigungen für die nächsten Monate in Tingo Mal Paso eingedeckt: Material für Handarbeiten und eine Ukulele. Zusätzlich habe ich auch die wunderschöne Erfahrung gemacht, zum ersten Mal mit andern Europäern auf Spanisch zu kommunizieren, weil mein Spanisch tatsächlich besser war als ihr Englisch. Leider blieb aber auch nicht viel Zeit für mehr, da ich ziemlich bald nach meiner Ankunft feststellen musste, dass ich mit Corona infiziert war. Deshalb habe ich den Großteil meiner Zeit in Cusco in einem Hotelzimmer in Quarantäne verbringen müssen. Nicht einmal ein Besuch des legendären Machu Picchu war zeitlich noch zu machen. Darum werde ich wohl auch im Laufe des Jahres noch einmal nach Cusco zurückkehren.



Cusco von der Ruinenstädte Saqsaywaman aus.

Wenn das nicht europäisch aussieht, war ich wohl schon zu lange nicht mehr in Europa, um das beurteilen zu können.

Als letzte Station vor dem Zwischenseminar, nach dessen Ende dann meine Rückkehr nach Tingo Mal Paso schon anstand, habe ich noch ein zweiwöchiges Praktikum bei meinen Mitfreiwilligen im botanischen Garten von Pucallpa absolviert. Die Arbeit am Einsatzort dort hat Spaß gemacht und mir auch noch einmal klar vor Augen geführt, was für große Vorteile es hat, in einer Stadt zu leben, schon allein was Ernährung, soziale Kontakte, Freizeitbeschäftigungen und Lebensstandard angeht. Gleichzeitig war ich dadurch auch sehr froh, an meinem Einsatzplatz geblieben zu sein. Auf dem Dorf sieht man noch mal eine ganz andere Lebensweise und erkennt selbst große entwicklungspolitische Problemstellungen. Und, was mir persönlich sehr wichtig war, man wird nochmal ganz anders herausgefordert. Ich habe in Tingo Mal Paso wahrscheinlich mehr über mich und die Welt gelernt, als in den Jahren davor. Genau dieser Lernprozess war einer meiner Hauptgründe, diesen Freiwilligendienst machen zu wollen. Insofern bin ich vielleicht genau am richtigen Ort gelandet. Einen weiteren Vorteil den ich hier habe, ist die erste Freiwillige seit fast zwei Jahren und erst die zweite insgesamt zu sein. Das macht manche Dinge schwieriger, aber gleichzeitig ist das Interesse an mir selbst noch größer, ich werde nicht als eine von vielen wahrgenommen, wie das bei einigen anderen, länger bestehenden Einsatzplätzen der Fall zu sein scheint.


Eine der aufwendigeren Arbeiten im Praktikum: Ein neuer Anstrich fürs Eingangstor.

Das typische Transportmittel in der Stadt: das Mototaxi. Mit Matratze auf dem Dach wird’s besonders abenteuerlich.

Für das kommende Schuljahr bleiben mir auch noch einige Herausforderungen. Erst der Einzug in meine neue Unterkunft, dann der Schulstart (fast das gesamte Lehrpersonal wechselt) mit vollständig in Präsenz stattfindendem Unterricht und die generelle Wieder-Eingewöhnung im Dorfleben. Das schließt natürlich auch haufenweise Kommunikation auf Spanisch mit ein, die zwar heute schon sehr viel besser funktioniert, aber trotzdem immer noch Verbesserungspotential hat. Einige Ziele habe ich mir auch selbst gesteckt, wie zum Beispiel, dass ich freiwilligen Sprachunterricht für die Schüler und separat auch für Erwachsene anbieten will und eventuell auch einige Bildungsprojekte zu Themen die meiner Meinung nach häufig zu kurz kommen, wie Umwelt, Ernährung, sexuelle Aufklärung, oder die Existenz anderer Religionen, über das Christentum hinaus (auf die Frage, welche Religionen sie kennen, antworten die Schüler tatsächlich meistens „katholisch“ und „protestantisch“). Meine größte persönliche Herausforderung wird wohl sein, meine gerade bei der Arbeit auftretende Prokrastination und Unwohlsein zu überwinden und stattdessen zu lernen, Spaß daran zu haben. Es gibt also noch einiges zu tun an der Kreuzung schlechter Wege.



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